Naja. Wenn man sich genauer mit der römischen Republik und der Athenischen Demokratie auseinandersetzt wĂŒrde ich keineswegs sagen, dass die Römer weiter waren. (Falls âweiterâ ĂŒberhaupt ein sinnvoller Begriff ist, impliziert er doch eine zielgerichtete Entwicklung, die es nicht gibt).
Weder in Rom noch in Athen war die gesamte Bevölkerung zur Mitwirkung berechtigt (bei uns ĂŒbrigens auch nicht, aber der Anteil ist deutlich höher).
In Rom gab es Volksabstimmungen, bei denen durch das Verfahren explizit sicher gestellt wurde, dass der Ă€rmere Teil der Bevölkerung nichts zu sagen hatte. Nur, wenn die oberen Einkommensklassen sich nicht einig waren wurde er ĂŒberhaupt gefragt.
In Athen waren zumindest die als gleich angesehenen BĂŒrger (nur freie, mĂ€nnliche BĂŒrger, ja) wirklich weitgehend gleich. Ein erheblicher Anteil von ihnen (nahezu jeder, der nicht zu frĂŒh starb) hatte im Laufe seines Lebens die reale Chance, ein Amt zu bekleiden. Die Ămter waren zahlreich (einige hundert) und durch schnelle Rotation stĂ€ndig neu zu besetzen. Fast alle wurden ausgelost und alle arbeiteten in Gremien, Einzelentscheider gab es praktisch nicht. Die Athener wussten auch sehr genau, zeitgenössischen Quellen nach zu urteilen, dass dieses Verfahren Korruption effektiv vorbeugt.
Unser System, ebenso wie unsere Rechtsauffassung, unser Begriff von Freiheit und Eigentum, gehen maĂgeblich auf Rom zurĂŒck, weniger auf Athen. Und die römische Republik könnte man wohl besser als Oligarchie als als Demokratie bezeichnen.
Eine ausfĂŒhrliche Beschreibung dieser Systeme wie auch der italienischen Stadtrepubliken findet sich bei Hubertus Buchstein: Demokratie und Lotterie.
Idealerweise sollte eine Auslosung aus allen BĂŒrgern per Zufall geschehen. Das ist dann nicht wirklich transparent, hat ja auch was mit Datenschutz zu tun, aber auch nicht interessengetrieben. Es gibt trotzdem viele Fallstrike bei gelosten Verfahren, allen voran den, dass Ergebnisse solcher Gremien, die nicht ins politische Konzept passen, ignoriert werden.
Und Transparenz ist kein Allheilmittel. Sie ist enorm wichtig, um mögliche Befangenheit von EntscheidungstrÀgern offen zu legen. Bei gelosten Gremien allerdings, die eine andere Dynamik entwickeln, wenn es gut lÀuft, kann zu viel Transparenz wertvolle Gruppenprozesse behindern.
Vielleicht waren sie damals zweckdienlich. Richtig waren sie nicht, was richtig ist steht fest, wir erkennen es nur nicht unbedingt. Definitiv waren sie nicht besonders funktional. Der Glaube an ein belebtes Universum, an Geister von Bergen und Seen u.Ă€. mag falsch sein, ist dem Ăberleben der Menschheit aber in jedem Falle dienlicher als westliche Wissenschaftlichkeit. Letztere dient dem Beherrschen der Natur, damit lĂ€sst sich viel erreichen (HochhĂ€user, Computer, Atombomben), aber Klima und Böden macht man so kaputt.
Ja. es stellt sich gerade heraus, das so ziemlich jede Geschichte, die wir ĂŒber uns erzĂ€hlen, grobe Fehler enthĂ€lt.
Ich wĂŒrde Tina da unterstĂŒtzen: Wir haben 70 Jahre neoliberale GehirnwĂ€sche hinter uns und davor einige Jahrhunderte kapitalistischen Individualismus. Wir wissen gar nicht mehr, wie viel Macht wir als Gruppen hĂ€tten. Aus gutem Grund, nur so sind die Vielen von den Wenigen steuerbar.
Wir mĂŒssen erkennen, dass wir als Gruppen stark sind, aber als horizontal organisierte Gruppen. Hierarchische Gruppen verleiten dazu, sich hinter einer/m FĂŒhrer*in zu verstecken, auĂerdem sind sie relativ leicht zu kooptieren. Man muss nur die FĂŒhrung unter Druck setzen oder ködern. Lose Netzwerke, egalitĂ€re Kooperativen sind viel schwieriger zu beherrschen. Solche Gruppen geben Mut und Halt, fördern KreativitĂ€t und Bewusstsein.